Patientenbegleitung im Krankenhaus

Die Situation:

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung stellt die steigende Anzahl von immer älteren Patienten die Krankenhäuser zunehmend vor große Herausforderungen. Gerade diese Patientengruppe hat meist Probleme, sich in der für sie fremden Umgebung zurechtzufinden. Häufig kommt es dann zu akuten Verwirrtheitszuständen im Sinne eines Delirs oder zu Depressionen. Studien belegen, dass der Einsatz von Patientenbegleitern geeignet ist, Delir und Depressionen von Patienten vorzubeugen oder ganz zu vermeiden.

Seit Juli 2017 führt der KSR ein neues Projekt durch. In Kooperation mit dem Klinikum SW und dem Verein FISH e.V. Leonberg werden ältere Patienten im Krankenhaus besucht mit dem Ziel, die Gefahr für ein Delir oder eine Depression zu reduzieren.

Ein Delir:

Delir ist ein akuter Verwirrtheitszustand. Bei älteren Patienten tritt er in 25% während eines Krankenhausaufenthaltes auf. Er führt häufig zu einer immensen Verschlechterung der Alltagsfähigkeiten und birgt die Gefahr dass 20% der Patienten an den Folgen versterben.

Patientenbegleiter:

Ehrenamtliche Patientenbegleiter stärken mit ihren Besuchen gefährdete ältere Patienten in ihren Alltagsfähigkeiten und geben in der ungewohnten Umgebung Orientierung.
Abgestimmt mit Ärzten und von den Krankenschwestern ausgewählt, werden ältere Patienten nachmittags betreut.
Sie übernehmen keine pflegerischen Aufgaben, sondern begleiten die Patienten individuell. Die ehrenamtlichen Patienten-begleiter/innen geben Orientierung, unterhalten sich, lesen vor, machen Spiele, unternehmen kleine Spaziergänge – und haben Zeit, welche die Krankenschwestern nicht haben.
Die Patientenbegleiter erhalten eine fundierte Aus- und Weiterbildung, eine kleine  Aufwandsentschädigung und sind unfall- und haftpflichtversichert.

Wir bedanken uns ganz besonders bei unseren Sponsoren, die uns ermöglichen, unseren Patientenbegleiter/innen eine kleine Aufwandsentschädigung zu bezahlen. Es sind: Landkreis Böblingen, Rotarier Böblingen, Förderverein des Krankenhauses Sindelfingen, Kreissparkasse Böblingen, AOK Stuttgart-Böblingen, Sanitätshaus Schaible.

Der Weg zu uns:
Wenn Sie sich für die Tätigkeit eines Patientenbegleiters interessieren, bitte sprechen Sie uns an:
Tel. 07031/ 813417 oder 07152/ 30799-11
Weitere Informationen: Mehr über das Projekt erfahren Sie im „Flyer Patientenbegleitung“ und im Vortrag KSR Patientenbegleitung“.


 

Historie:

Das Pilotprojekt begann im Juli 2017 in der Unfallchirurgie im Klinikum Sindelfingen. Nach sehr guten Ergebnissen wurde es auf 11 Pflegebereiche in den 4  Krankenhäusern Sindelfingen, Böblingen, Leonberg und Herrenberg ausgedehnt. Bisher  wurden über 7.000 Patienten betreut, keiner davon erlitt ein Delir oder eine Depression.

Projektmanagement: Das Projekt wird durch ein fundiertes Projektmanagement begleitet mit entsprechender Dokumentation, Statusgesprächen und Qualitätssicherung:

  • Alle 4 Wochen: Projekt-Team-Besprechungen mit den Patientenbegleitern und Stationsschwestern mit Aussprache und Erfahrungsaustausch
  • Alle 4 Monate: Projekt-Status-Besprechung u.a. mit Patientenbegleitern, Ärzten, Krankenschwestern, Pflegedienstleitung. Dazu Vorträge zur Weiterbildung  mit medizinischen Themen, u.a. zu Demenz, Delir, Depression, Polypharmazie usw.
  • Fortwährende persönliche Betreuung und Beratung der Patientenbegleiter
  • Leitlinien für die Tätigkeit der Patientenbegleiter, Projekt-Infoblatt für Angehörige
  • Ein Übergabeprotokoll wird für den Patientenbegleiter durch das Pflegepersonal erstellt mit Angaben was der Patient darf und was nicht
  • Erstellung eines Tagesberichts durch den Patientenbegleiters nach jedem Besuch
  • Beurteilung: Was hat der Besuch dem Patienten gebracht? Note derzeit: 1,4
  • Zusammenarbeit mit vorhandenen Teams in den Kliniken ist selbstverständlich
  • Qualitäts- und Erfolgskriterien wurden erstellt und werden überprüft
  • Status-Berichte gehen u.a. an Klinikchefs, Ärzte, Pflegedienstleiter, LRA, Kreisräte

Erfolg des Projekts: Bei den bisher begleiteten über 7.000 Patienten wurde weder ein Delir noch eine Depression festgestellt. Die durch Studien belegten Kosteneinsparungen durch Patientenbegleitung sind über 200.000 € im Jahr. Die Krankenschwestern bescheinigen, dass die besuchten Patienten ruhiger sind, kaum den Rufknopf betätigen, mehr Appetit zeigen, ruhiger schlafen und so die Nachtschicht entlasten. Das Pflegepersonal  und die Ärzte bezeichnen das Angebot als sehr erfolgreich und als eine großartige Einrichtung. Auch die Patientenbegleiter sind hoch motiviert, erhalten für ihr geduldiges Begleiten meist auch etwas zurück: „Ein Lächeln des Patienten am Ende unseres Gesprächs beschwingt mich auf dem ganzen Heimweg“.

Das Projekt gewann im Juli 2018 den 1. Preis bei QuMiK (Qualität und Management im Krankenhaus – 35 Krankenhäuser) und im Sept. 2019 den Deutschen Patienten-preis. Andere Landkreise sind an diesem Projekt sehr interessiert; wir beraten diese gerne.

 

Gewinn 1. Preis bei QuMiK                                Gewinn des Deutschen Patientenpreises 2019  

Start des Parallel-Projekts Intensiv-Begleitung (IB): Nach diesen sehr ermutigenden  Erfahrungen wurde im Mai 2019 das Projekt IB gestartet, einer Intensiv-Begleitung. Da-bei werden Patienten am Spätnachmittag vor ihrer OP von einem Patientenbegleiter betreut, Vertrauen auf- und Angst abgebaut und mit der Situation vertraut gemacht. Am nächsten Tag, dem Tag der OP, besucht dieser Patientenbegleiter den Patienten, beruhigt ihn und begleitet ihn bis zur Schleuse. Nach der OP holt er den  Operierten vom Aufwachraum ab, begleitet ihn in sein Zimmer und bleibt bis zur Mittagszeit.

Durch diese gute Erfahrung im Umgang der Patientenbegleiter/innen bzgl. des Aufwachraums hat die Klinik-Geschäftsführung entschieden, den Aufwachraum auch für alle Angehörige für deren Patienten zuzulassen. Ein großer Nebeneffekt unseres IB Projekts zum Wohle der Patienten.

Besuch von ISO-Patienten: Nicht selten werden die Patientenbegleiter/innen von der Krankenschwester gefragt, ob sie auch Patienten, die isoliert in einem Einzelzimmer liegen begleiten würden. Die meisten der Begleiter/innen stimmen dem zu, müssen sich total verkleiden um keine weitere Keime zum Patienten zu bringen und auch um sich zu schützen. Ganz berührende Gespräche finden dann statt, denn diese Patienten sind total isoliert, bekommen nur selten Besuch, auch die Krankenpfleger/innen haben keine Zeit, sich der Umzieh-Prozedur zu unterziehen. Ein älterer Chefarzt meinte: „Ich habe noch nie in meiner Praxis so eine lachende ISO-Patientin gesehen wie nach dem Besuch der Patientenbegleiterin“.

Die Patientenbegleiter/innen: Von den 75 Ehrenamtlichen sind 70 weiblich und 5 männlich, vier ehemalige Ärztinnen und ein Apotheker sind darunter. Die typische Patientenbegleiterin ist zwischen 70 und 75 Jahre alt, hat Eltern und meist auch ihren Mann gepflegt, hat Erfahrung im Umgang mit Pflegebedürftigen, meist auch Demenz-kranken, weiß wie es im Krankenhaus zugeht. Alleine lebend, meist etwas einsam, sucht sie eine sinnvolle, soziale Tätigkeit, wo sie sich einbringen kann. Sie ist dankbar für die kleine Aufwandsentschädigung, damit sie keine eigenen Kosten für die Fahrt zur Klinik hat. Die Teams treffen sich mittlerweile privat zum Kaffeetrinken. Somit fördert das Projekt im Nebeneffekt ein soziales Miteinander. Alle Patientenbegleiter/innen sind hochmotiviert und kommen auch zu unseren monatlichen Team-Besprechungen.

Gewinnen von Ehrenamtlichen und die Ausbildung: Dieses Projekt hat eine große Leuchtkraft, zahlreiche Presseberichte gibt es darüber. Viele Interessierte aus dem gesamten Landkreis melden sich um mehr über die Vorgehensweise bei der Patientenbegleitung zu erfahren. Die meisten sagen spontan zu. In einer 30-stündigen Ausbildung werden pflegerische und medizinische Themen behandelt, wie man Gespräche führt und auch abschließt und auch mit problematischen Situationen umgeht.

Evaluation des Projektes Patientenbegleitung: Gemeinsam mit den Ärzten im Klinikverbund plant der KSR eine Evaluation des Projektes durchzuführen. Hierbei soll die Verbindung zu den vorhandenen Besuchsdiensten (Nicht-Kirchlich) in unseren Kommunen hergestellt werden. Ziel ist, zu erfahren und beobachten, ob sich bei den aus der Klinik entlassenen Patienten nachträglich noch ein Delir oder eine Depression eingestellt hat. Punkte des Datenschutzes werden selbstverständlich berücksichtigt.

Partner und Förderung des Projekts: Die Patientenbegleiter werden betreut vom Verein FISH e.V. Leonberg. Dieser sorgt für deren Ausbildung, Einsatz und Betreuung, für Bezahlung der Aufwandsentschädigung und für Unfall- und Haftpflichtversicherung. Die gesamten Kosten des Projektes werden vom Kreisseniorenrat getragen.

Viele Unterstützer und Referenzen – hier einige Beispiele:

  • Prof. Jochen Maas, Vize-Präsident des „House of Pharma & Healthcare“ bei der Verleihung des Dt. Patientenpreises am 2.9.19: Dieses Projekt hat uns in der Jury alle überzeugt, es ist ein Angebot von Mensch zu Mensch, mit hoher Beteiligung, nachhaltig und kann leicht von anderen Kliniken übernommen werden. Es hat mit Recht den Preis aus 51 Mitbewerber-Projekten gewonnen“  
  • Dr. Jörg Noetzel, Gf Klinikverbund SW mit 6 Krankenhäusern: „Das Projekt ist sowohl aus Sicht der Patienten als auch aus Sicht unserer Mitarbeiter/innen ein voller Erfolg. Es trägt nicht nur zur Delirvermeidung bei, sondern gleichzeitig auch zur merklichen Entlastung des Personals, indem beispielsweise die Patienten ge-löster sind und ruhiger in den Schlaf finden. Basis für den Erfolg ist neben dem per-sönlichen Engagement aller Kooperationspartner vor allen Dingen die gemeinsame  Grundidee, zentrale Bedürfnisse des Patienten über die pflegerische und medizi-nische Versorgung hinaus, nämlich die Bedürfnisse nach Nähe, Zeit und Zuspruch verstärkter in den klinischen Alltag zu integrieren.“
  • Landrat Roland Bernhard: Diese Patientenbegleitung ist eines von zahlreichen innovativen Dienstleistungsangeboten des Kreisseniorenrates. Ein Musterbeispiel an zivilgesellschaftlichem Engagement, welches hochprofessionell organisiert, nach-haltig getragen und als zwischenzeitlich praxisbewährtes Beispiel übertragbar auf viele Regionen in Deutschland ist. Zahlreiche Landratskolleginnen und –kollegen sind brennend daran interessiert, dieses Modell in ihren Landkreis zu übertragen. Ich würde mich sehr freuen, wenn dies mit Know-how-Transfer und der Unter-stützung des KSR gelingt.
  • Prof. Axel Prokop, Chefarzt Unfallchirurgie Klinikum Sindelfingen: „Die Tatsache, dass bei über 6000 Patienten, die vom Team begleitet wurden, kein einziges Delir und auch keine Depression aufgetreten ist, ist erstaunlich. Ent-sprechend vieler Statistiken und unserer Erfahrung müssten eigentlich mind. 200 Patienten ein Delir erlitten haben. Dies bringt unsere Überlegungen zur Vermeidung von Delirs im Krankenhaus auf eine ganz andere Ebene einer intensiveren sozial-medizinischen Betreuung“.
  • Dr. Karl-Michael Reinauer, Geriater und Chefarzt Altersmedizin Sindelfingen: Durch die Patientenbegleiter hat sich in den besuchten Pflegebereichen die Atmos-phäre sehr gebessert. Die Vorbesprechungen der Schwestern mit den Patienten-begleitern über die zu besuchenden Patienten werden sachlich und fachlich gut geführt. Die ruhige und empathische Art der Patientenbegleiter/innen hat eine Rückstrahlung auf die Pflege. Ich glaube, das wirkt auf die Stationen stabilisierend“.

Zusammenfassung:

  • Ein Projekt von Mensch zu Mensch: 75 hochmotivierte Patientenbegleiter/innen betreuten bisher über 7.000 Patienten ohne dass bei den besuchten Patienten ein Delir oder eine Depression aufgetreten ist.
  • Eine 4-fache Win-Win-Situation: Patienten, Ärzte, Pflegekräfte und auch die Patientenbegleiter/innen sind sehr zufrieden sogar begeistert von dieser Tätigkeit.
  • Die guten medizinischen Ergebnisse geben Anlass zu Überlegungen, das Thema soziale Begleitung zusätzlich zur medizinischen und pflegerischen Versorgung in den Kliniken weiter auszubauen.
  • Das Zwillingsprojekt „Intensiv Begleitung“ vor und nach einer OP sollte verstärkt werden.
  • Andere Landkreise sind an diesem Projekt sehr interessiert. Die Übertragung dieses Angebots auf weitere Krankenhäuser und andere Landkreise ist leicht möglich. Wir beraten und unterstützen gerne.